Wie der Krieg die Bildung in der Ukraine zerstört

Warum zielt der Angreifer darauf ab, die Grundlagen der Bildung in der Ukraine zu zerstören? Wie leben ukrainische Pädagogen im Ausland? Und wie beeinflusst der Krieg die emotionale Verfassung von Kindern?

In der Ukraine geht der Krieg in vollem Umfang weiter. Neben der Tatsache, dass jeden Tag Kinder sterben und das Leben von Millionen Menschen durch die russische Aggression zerstört wird, gibt es auch etwas, worüber nur wenige sprechen: die Zerstörung von Bildung. Warum ist dies eines der wichtigsten Probleme, das zuerst gelöst werden muss?

Eine der wertvollsten Ressourcen jedes Staates sind die Menschen. Kinder und Jugendliche werden die Zukunft der Ukraine aufbauen. Die Grundlage für die erfolgreiche Verwirklichung einer Person ist Bildung – die das russische Regime jeden Tag gnadenlos zerstört. Schritt für Schritt. Der Besatzer versteht doch, welche Rolle Bildung bei der Schaffung eines starken Staates spielt.

Seit Kriegsbeginn wurden insgesamt 1.967 Bildungseinrichtungen beschädigt und 221 vollständig zerstört. Diese Zahlen steigen jeden Tag. Kiew, Charkiw, Odessa … In der Ukraine gibt es keine Stadt, kein Kind und keine Familie, die die Folgen dieser Zerstörungen nicht zu spüren bekommen. Schulen und Kindergärten, Universitäten und Waisenhäuser – die Besatzer zerstören gezielt die Basis erfolgreicher Staatlichkeit. Aber werden sie es schaffen?

Es gibt einen Hoffnungsschimmer: solange es Menschen gibt, die weiterhin Kinder erziehen, sei es im Ausland oder in der Ukraine, und solange es Kinder gibt, die sich bemühen zu lernen, wird die Ukraine Bestand haben.

„Domivka“ ist zu einer der tragenden Säulen in dieser Angelegenheit geworden, sowohl für Schüler als auch für Lehrer. Jeden Tag lernen Kinder in Workshops, ihre Gedanken und Emotionen durch Kreativität auszudrücken. Jugendliche erhalten Informationen und Hilfestellungen zur Zulassung an österreichischen Universitäten. Lehrkräfte, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, können weiterhin in ihrem Beruf arbeiten. Und Mütter kommen jede Woche zum Deutschkurs.

Heute haben wir mit Yulia Brodovinska gesprochen, einer der Lehrerinnen von Domivka. Yuliya ist Zeichenlehrerin und Kunsttherapeutin und gibt derzeit Zeichenunterricht bei „Domivka“.

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Julia, eine Frage an Sie: Was genau haben Sie vor dem Krieg in der Ukraine gemacht?

Ich bin eine ziemlich aktive Person. Während meiner 15-jährigen Berufslaufbahn habe ich praktische Laborkurse und Schulungen für Studenten durchgeführt und auch angehenden Architekten und Designern das Zeichnen beigebracht. Ich habe auch mit Kindern gearbeitet: ich habe verschiedene Workshops und Meisterkurse gemacht. Und ich habe auch Kunsttherapiekurse für besondere Kinder abgehalten. Aber das ist alles in der Ukraine geblieben, wie in einem vergangenen Leben.

Ich verstehe. Erzählen Sie uns bitte, wie Sie die Ukraine verlassen haben?

Es war ein ziemlich emotionaler und unbewusster Schritt. Ein Krieg hat begonnen, und wir alle waren schockiert. Zu Kriegsbeginn war mein Sohn 11 Jahre alt – ein Alter, in dem man schon alles versteht, aber die eigenen Gefühle noch kompliziert sind. In der Nähe von unserem Haus gab es keine Luftschutzbunker, und in der Wohnung gab es auch kein Versteck. Es war unklar, was zu erwarten war. Unerklärliches Chaos herrschte um mich herum und in meinen Gedanken. Irgendwann haben wir einfach unsere Sachen gepackt und sind gegangen. Zuerst ins Dorf, wo es sicherer schien. Und dann haben uns meine Schwester und meine Eltern überzeugt, ins Ausland zu gehen. So sind wir in Wien gelandet.

Welche Schwierigkeiten mussten Sie zu Beginn in Wien bewältigen?

Es gab viele Momente, die zum Nachdenken anregen, rund um die Frage: Was mache ich hier? Wissen Sie, wenn man die Sprache nicht kann, ist es ziemlich schwierig, sich anzupassen und einfach zur Besinnung zu kommen. Am Anfang war es für mich nicht einfach: viele unverständliche Ängste waren in mir, und Gedanken, die in kein logisches Bild gepasst haben. Und das alles vor dem Hintergrund alltäglicher Probleme, die es täglich zu lösen galt.

Meine Arbeit hat mir geholfen, das zu überstehen. Glücklicherweise konnte ich damals online unterrichten. Aber es gab einen echten Mangel an Live-Kommunikation. Deshalb bin ich jetzt hier, bei „Domivka“.

Wieso haben Sie angefangen, bei “Domivka” zu arbeiten?

Ich habe “Domivka” zufällig entdeckt. Irgendwo in den sozialen Netzwerken habe ich den Fragebogen „Wie kann ich nützlich sein“ gesehen. Da ich jemandem helfen wollte, füllte ich diesen Fragebogen aus und gab an, dass ich Kunstunterricht geben könnte.

In der Ukraine habe ich schon vor dem Krieg künstlerische Wohltätigkeitsveranstaltungen organisiert und geleitet. So habe ich zum Beispiel einen Workshop beim Österreichischen Kooperationsbüro (ÖKB) Lemberg durchgeführt. Dort haben wir mit Kindern das Leben und die Werke österreichischer Künstler studiert. Wir haben geredet, gezeichnet und etwas Leckeres gegessen. Es war wirklich wunderschön und ich habe gehofft, hier eine ähnlich schöne Erfahrung zu finden.

Tatsächlich spüren Kinder den Krieg und jede Emotion ihrer Mütter sehr subtil. Und wenn Papa dort und Mama da ist, ist es ganz wichtig, das Kind mit seinen Erlebnissen nicht allein zu lassen. Organisationen wie „Domivka“ ermöglichen es Kindern, sich nicht nur abzulenken, sondern auch ihre innere Welt in Ordnung zu bringen. Wir beschäftigen uns mit Kreativität, und dies ist eine der besten Möglichkeiten, unsere Emotionen auszudrücken und unsere Gefühle auf ökologische Weise zu zeigen. Dies ist sehr wichtig für eine kleine Person. In den Werken kann man immer die Tiefe der Gefühle von Kindern sehen.

Gibt es eine Arbeit, die Sie besonders beeindruckt hat?

Aber natürlich! Ein Beispiel: ein Junge war im Unterricht sehr zurückgezogen, und in jeder Phase seiner Arbeit brauchte er meine Zustimmung, als wollte er darin bestätigt werden, dass er alles richtig gemacht hat. Aber ich sah, dass dies nicht sein übliches Verhalten war. Mit jeder Unterrichtsstunde offenbarte er sich mehr und mehr und jetzt ist er schon viel aktiver und selbstbewusster in seinen Fähigkeiten geworden.

Generell kommen alle Kinder gerne in den Unterricht – die Anmeldung zum Unterricht ist immer voll, es gibt nicht genug Plätze. Wir beschäftigen uns nicht nur mit Kreativität. Wir können im Unterricht singen, die Kinder erzählen auch gerne Gedichte und interessante Geschichten. Vor kurzem haben wir „Tscherwona kalyna“ gesungen. Es war sehr emotional.

Julia, was kommt als nächstes? Haben Sie Pläne für die Zukunft?

Wie jeder Mensch, der durch den Krieg plötzlich sein normales Leben verloren hat, fällt es mir schwer, etwas zu planen. Während ich hier bin, möchte ich arbeiten, um meine Kenntnisse Kindern und Erwachsenen beizubringen. Ich versuche es, indem ich über interessante Persönlichkeiten in der Kunst und ihre Kreativität erzähle. Das lenkt mich auch ab, lässt mich den „Geschmack“ der Offline-Arbeit nicht vergessen und bringt Kinder dazu, sich auch trotz des Krieges zu entwickeln.

Wie Sie wissen, sind viele Bildungseinrichtungen in der Ukraine jetzt teilweise oder vollständig zerstört. Ich bin sehr verwirrt von dieser Frage. Wohin gehen Kinder, wenn Ihre Universität oder Schule zerstört oder Ihr Lehrer getötet wird? Es ist beängstigend, solche Worte zu sagen, aber das ist unsere Realität. Daher ist es mir sehr wichtig, dass meine Hochschule in Lemberg weiter funktioniert.

Das Leben ist unberechenbar. Von nun an versuche ich, keine langfristigen Pläne zu machen, ich lebe jeden Moment und in der Situation. Wir werden sehen, was morgen passiert.

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Wir danken Julia für das Interview und allen Lehrern und Pädagogen, die unter den Bedingungen des Krieges weiterarbeiten. Schließlich trägt jeder von uns durch seine Aktivitäten zur Zukunft unseres Volkes und zu unserem gemeinsamen Sieg bei. Wir danken Österreich und seinen Menschen für die umfassende Hilfe, Verständnis und Unterstützung. Und wir danken auch Liudmila und Natalia, den Gründerinnen von „Domivka“. Kinder, Mütter und Lehrer der Ukraine haben hier einen Ort der Entwicklung, des Lernens, der Kommunikation und der Erholung – hier, in Wien.

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