Die Selbstverwirklichung ukrainischer Frauen in Österreich

September 21, 2022
Wie finden talentierte, aufgeweckte und fleißige Ukrainerinnen eine neue Bestimmung in Österreich?
Interview mit Olena Mayorenko, einer Künstlerin und Zeichenlehrerin aus Kyiw
Olena musste wie Millionen andere Frauen das Land verlassen. Ihr Kunstatelier, ihre Studenten, ihre Aufträge – alle zurückgeblieben. Davor weht die Flagge von Österreich, einem Land, das bisher rund 80.000 Ukrainern Zuflucht geboten hat.
Eine in der Ukraine anerkannte, talentierte Künstlerin ist im März nach Wien gekommen. Ihr Mann ist als Freiwilliger an die Front gegangen. Was ist ihr Schicksal an ihrem neuen Wohnort? Hat sie es geschafft, ihr Talent zu fördern? Und warum hat das AMS ihr empfohlen, sich auszuruhen? Auf diese und andere Fragen hat Olena uns sehr interessante Antworten gegeben.

Olena, erzählen Sie uns bitte, welche berufliche Tätigkeit Sie vor dem Krieg in der Ukraine ausgeübt haben, und wie Sie nach Wien gekommen sind?
Ich bin Künstlerin und habe vor dem Krieg mit meinem Mann und zwei Kindern in der Hauptstadt der Ukraine gelebt. In Kyiw hatte ich mein eigenes Atelier, ich habe auch im “Haus des Künstlers” unterrichtet.
Wir sind nach Wien gekommen, da unsere älteste Tochter hier studiert. Zwei Wochen vor dem Krieg hat sie uns überzeugt zu flüchten, denn in Wien war allen klar, dass es einen Krieg geben würde. Wir haben erst nicht auf sie gehört, da wir hofften, dass alles nur Panikmache ist und nichts davon passieren würde. Aber wir haben unsere Notfall-Koffer für alle Fälle gepackt
Am Morgen des 24. Februar sind wir von den ersten Explosionen aufgewacht. Natürlich haben wir sofort angefangen zu packen, aber wir konnten erst um fünf Uhr abends losgehen, weil es einen so großen Stau gab, dass wir gar nicht aus dem Hof konnten
Die ersten 100 Kilometer Fahrt dauerten 12 Stunden wegen verrückter Staus auf allen Straßen. Als Gostomel zurückerobert wurde, sind wir gerade im Stau gestanden und nur 5 km/h gefahren. Militärflugzeuge sind über uns hinweg geflogen, es war sehr beängstigend.
Ist Ihr Mann in der Ukraine geblieben
Ja, mein Mann hat uns mit seinem Auto zur Grenze gefahren und sich freiwillig für die Streitkräfte gemeldet. Er wurde sofort eingestellt, weil er von seiner ersten Ausbildung an Soldat war. Jetzt steht er an der Front. Deshalb greife ich jeden Morgen zu meinem Handy, weil ich sein „Guten Morgen“ und einige Emojis lesen muss. Es bedeutet, dass es ihm gut geht
Ich möchte, dass dieser schreckliche Albtraum endet. Wir sind seit 23 Jahren zusammen und in all dieser Zeit waren wir nie länger als 2 Tage getrennt. Wir haben gescherzt, dass wir nicht ohne einander schlafen können. Wer hätte gedacht, dass wir so lange getrennt leben würden. Daher fällt mir diese Trennung sehr schwer. Aber jetzt bin ich hier, in Sicherheit, und das ist das Wichtigste, denn ich habe zwei Kinder
Sie sind also alleine mit zwei Kindern nach Wien gekommen?
Ja, wir sind am 28. Februar angekommen und waren unter den ersten Ukrainern in Österreich. Niemand hat gewusst, was mit uns zu machen ist, also hat man uns unsere Dokumente weggenommen und Asyl (vgl. Flüchtlingsstatus in Österreich) beantragt. Dann wurden wir in ein Flüchtlingslager geschickt. Es gab ungefähr 20 Frauen mit Kindern und einen Mann mit zwei Kindern, die er alleine großgezogen hat. Dort haben wir zwei Wochen lang gelebt
Dann wurden wir in einer kleinen Stadt in Niederösterreich angesiedelt. Es war ein altes Hotel, in dem ein Gebäude für Ukrainer umgebaut wurde. Es war schwierig, von hier aus nach Wien zu fahren.
Warum sind Sie nicht bei Ihrer Tochter in Wien geblieben?
Meine Tochter ist Studentin und lebt bei Freunden, daher war ein Wohnen bei ihr nicht möglich. Also haben wir uns eine andere Wohnung gesucht und schließlich ein Zimmer in Wien gemietet. Die Besitzer sind gerade nicht zu Hause, also mache ich mir große Sorgen, wie wir mit ihnen zurechtkommen, wenn sie zurückkommen. Ich habe Kinder, und sie sind ziemlich laut.
Woher haben Sie von Domivka gehört?
Nach meiner Ankunft in Österreich habe ich begonnen, in verschiedene Gruppen in sozialen Netzwerken zu schreiben, dass ich Kindern das Zeichnen beibringen möchte. Ich habe ein Künstlertreffen im MuseumsQuartier besucht und wurde dem Direktor vorgestellt. Dort habe ich angefangen, zweimal pro Woche Zeichenunterricht für ukrainische Kinder zu geben.
Später habe ich eine Arbeitsberatung bei „Domivka“ bekommen. Und Natalya (Mitbegründerin von “Domivka”) hat mir vorgeschlagen, dass ich hier das Fach Zeichnen unterrichte.

Wie stark hat sich Ihr Leben in diesen Monaten verändert?
In der Ukraine hatte ich eine Wohnung, ein Landhaus, ein Auto, einen Job, Studenten, Ziele. Mein Leben war geplant. Ich hatte ein Atelier und gab Zeichenunterricht. Als Künstlerin war ich bekannt und ich wurde ständig für Gemälde beauftragt. Jetzt kennt mich niemand, ich muss beweisen, dass ich etwas wert bin, dass ich gut unterrichten kann. Ohne Sprachkenntnisse und ohne Bekanntschaften ist es schwierig, aber ich werde es schaffen.
Haben Sie Pläne für die Zukunft?
Ja, ich möchte ein Kinderzentrum gründen, in dem es nicht nur Malen, sondern auch verschiedene Workshops geben wird. Aber hier ist alles anders als in der Ukraine. Ich muss erst verstehen, wie das Leben hier funktioniert.
Meine Freundin arbeitet als Fotografin in Graz. Sie hat wie immer intensiv gearbeitet. Ihr Arbeitgeber hat sie angerufen und ihr gesagt, sie solle weniger arbeiten und sich mehr erholen. Wir UkrainerInnen sind sehr fleißig, wir können nicht anders.
In meinem Lebenslauf gibt es eine Liste von Orten, an denen ich in diesen Monaten in Österreich engagiert gewesen bin. Der AMS-Mitarbeiter war sehr überrascht, dass ich hier so viel geschafft habe, und hat mir gesagt, ich solle mich etwas ausruhen.
Ich sehe so viel Energie und Talent in Ihnen. Alles wird für Sie gutgehen! Malen Sie momentan was?
Ich würde wirklich gerne, aber es gibt keine Möglichkeit. In Kyiw hatte ich zu diesem Zweck mein eigenes Atelier, aber hier… Ich habe bereits alle Materialien gekauft, um ein neues Bild zu malen. Aber es gibt hier weder ein Atelier für mich, noch habe ich Zeit dafür. Ich habe ein Bild im Kopf in der Größe von 1,5 x 1,8 Meter. Wir leben mit zwei Kindern in einem Zimmer. Wenn ich diese Leinwand dort hinlege und mit der Arbeit beginne…das ist unmöglich, verstehen Sie? Aber ich werde dieses Bild auf jeden Fall machen, denn jetzt gibt es viele interessante Ausstellungen, die sich dem Thema Ukraine widmen. Und ich verstehe, dass ich gute Werke leisten kann, die an der kulturellen Front wichtig wären.
Olena, danke für Ihre Zeit. Was würden Sie “Domivka” wünschen?
Ich möchte „Domiwka“ mehr Unterstützung und Finanzierung wünschen. Ich sehe, dass die Gründerinnen schon viel geleistet haben und weitermachen. Hier wird außerordentliche Arbeit geleistet, um ukrainische Mütter zu unterstützen, und das ist sehr wichtig. Wir sind alle ohne Ehemänner nach Wien gekommen und niemand hilft uns mit den Kindern. Wir müssen Arbeit, Haushalt und Kinderbetreuung tragen. Und das ist sehr schwierig angesichts des psychischen Traumas, das wir alle durch den Krieg erlitten haben.
Wissen Sie, manchmal weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich gehe einfach ohne Kinder nach draußen und setze mich auf eine Bank, um meine Gedanken zu ordnen. Meine Kinder sind rund um die Uhr bei mir. Jetzt ersetzt jede ukrainische Mutter ihre Väter, Großmütter, Großväter, Freundinnen und Lehrer. Daher ist die gegenseitige Unterstützung von Müttern ein sehr wichtiges Anliegen. Dafür danke ich „Domivka“, und ich halte dieses Projekt für entwicklungs- und ausbauwürdig.
Wir danken Elena und ermutigen Sie, unser Projekt zu unterstützen. Dies erfordert nur wenige Minuten Ihrer Zeit und einen für Sie angenehmen Betrag, den Sie überweisen möchten, um ukrainischen Müttern und ihren Kindern zu helfen.
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